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Helgoland 046 P

Eine besondere Storchengeschichte
2013, 20. Juni: Erstmals seit rund fünfzig Jahren wachsen in Hillerse (GF) wieder zwei Storchenjunge heran. Gestern hatte mich die Nachricht von meinem Mitbeobachter Friedrich Börner erreicht, einer der beiden Altstörche dort sei beringt, und zwar mit einem Aluring rechts über dem Fußgelenk. Den musste ich bei meinen bisherigen Kontrollbesuchen doch tatsächlich übersehen haben! Eins war mir sofort klar: Da inzwischen schon seit zehn Jahren mit Elsa-Kunststoffringen gearbeitet wird, musste dieser Storch, wenn es denn ein deutscher ist, noch älter sein. Mein Jagdfieber war geweckt.

Heute morgen war ich sofort losgefahren. Nun beobachte ich das Nest durch mein Spektiv. Ein Altvogel bewacht die beiden Jungen. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis für einen kurzen Moment sein rechter Fuß sichtbar wird - ohne Ring. Dann muss es der zweite Storch sein! Ich warte. Es kann natürlich noch lange dauern, bis der andere kommt. Doch plötzlich: der Neststorch geht klappernd in die Abwehrhaltung. Aha, ein Fremdstorch im Anflug! Und noch ein dritter Storch kommt angerauscht. Er landet auf dem Nest, verteidigt es nun zusammen mit seinen Partner. Dabei tritt er auch mehrfach auf den Nestrand. Und nun sehe ich durch das Spektiv: er trägt tatsächlich rechts unten einen Aluring. Nach mehreren Versuchen gelingt es mir, ihn abzulesen. Darauf steht: 046 P Vogelwarte Helgoland. Ich mag es erst gar nicht glauben. Ich entdecke hier gerade einen Storch, mit dem ich schon einmal zu tun hatte – in einer dramatischen Situation vor 21 Jahren. Seitdem hatte ich nie wieder etwas von ihm gehört, geschweige denn ihn gesehen, auch nicht im Kreis Gifhorn, in dem ich seit 2007 Weißstorchbetreuer bin.

Was mag dieser Storch in der Zwischenzeit alles erlebt haben? Ich mache mich daran, seinen Lebensweg zu erforschen. Ganz viele Informationen und sogar Fotos bekomme ich vom ehemaligen Weißstorchbetreuer Hans Reither, von der Beringungszentrale Helgoland die dort eingegangenen Meldungen. Auch die Pflegestation Leiferde, Georg Fiedler und ehemalige Nestbesitzer helfen mir weiter. Und so entsteht dieser Lebenslauf:

1992 Am 4. Juni kommt vom Storchennest in Bröckel (CE) die Nachricht, dass nur noch das Weibchen Helgoland E 2464, 1974 in Rethscheuer Krs. Lüneburg beringt, bei den drei Jungen ist. Das unberingte Männchen fehlt. Es wird wenig später am Weg von Bröckel nach Uetze tot aufgefunden. Am 5. Juni berge ich die drei Jungen mit Hilfe der Drehleiter der Frw. Feuerwehr Wathlingen und bringe sie in die NABU Pflegestation nach Leiferde (GF). Die drei Halbwaisen sind geborgen.

Am 15. August begeben sich die Jungen aus Bröckel, in Leiferde inzwischen am rechten Bein über (!) dem Knie mit den Ringnummern 044 P - 046 P der Vogelwarte Helgoland versehen, mit weiteren Pflegestörchen auf die große Reise. Vermutlich wählen sie die Westroute, da ein Storch dieses Trupps im September in Frankreich abgelesen wird. Von einem anderen kommt allerdings die Nachricht, dass er am 31. August verletzt in den Zoo Hoyerswerda (Sachsen) eingeliefert wurde.

1995 Drei Jahre danach wird 046 P erstmals abgelesen. Bei der Paarung mit einem unberingten Storch auf dem Nest in Ahnsen (GF) stellt sich heraus: Sie ist ein Weibchen. Zu einer Brut kommt es nicht.

1996 Es gibt keinen Wiederfund.

1997 Im Alter von fünf Jahren wird 046 P erstmals Brutstörchin. Im Nest in Klein Schwülper (GF) zieht sie zusammen mit ihrem Partner drei Junge groß.

1998 Sie kehrt zum Nest in Klein Schwülper zurück, wird dort aber dann von einem unberingtem Paar vertrieben. Anschließend hält sie sich als Einzelstörchin in Watenbüttel (BS) auf und wird zwischendurch auch in Steinhof (BS) abgelesen.

1999 Am 20. Mai wird sie auf dem Nest in Watenbüttel abgelesen. Am 24. Mai erobert sie das Nest in Klein Schwülper zurück, vertreibt das dortige unberingte Paar und bleibt solo bis zum 20. August.

2000 Sie brütet mit einem unberingtem Partner in Klein Schwülper – ohne flügge Junge.

2001 In Klein Schwülper schlüpfen zwar drei Junge, sterben aber vor dem Flüggewerden.

2002 Im Alter von zehn Jahren brütet sie zum zweiten Mal erfolgreich und zwar wiederum in Klein Schwülper. Drei Junge werden flügge.

2003 Sie wechselt nach Watenbüttel über. Nach Verlust des Männchens werden vier Eier geborgen und in einer Pflegestelle ausgebrütet. Von dort aus werden drei Junge flügge. Als verwaiste Mutter attackiert sie das besetzte Nest in Klein Schwülper. Dabei werden alle dortigen Jungen getötet.

2003 Sie hält sich vom 15. Juni bis 16. August mit einem unberingten Partner in Wendeburg (PE) auf. Das dortige Nest wird ausgebaut.

2004 Die vierte erfolgreiche Brut – mit drei flüggen Jungen in Wendeburg.

2005 Als sie in Wendeburg eintrifft, zeigt sich: der Ring über dem Knie ist teilweise von abgestorbenem Fleisch überwuchert. Dem Weißstorchbetreuer Hans Reither gelingt es, die Störchin einzufangen und den Ring zu lösen. Vorsichtshalber legt er ihn nun über dem Fußgelenk an. Seitdem ist 046 P unten rechts beringt. Die Störchin bleibt in dieser Saison solo.

2006 Sie kehrt gesund nach Wendeburg zurück und zieht mit einem unberingten Partner drei Junge groß.

2007 Am 3. Mai taucht sie mit Partner nur als Besucher in Wendeburg auf. Ab 7. Mai besiedelt sie mit Partner das Nest in Harvesse (PE). Zu einer Brut kommt es nicht mehr.

2008 So früh wie nie zuvor, am 27. März, landet sie zunächst auf dem Nest in Wendeburg, zieht dann aber weiter nach Harvesse und brütet dort. Von zunächst vier geschlüpften Jungen wird eins flügge.

2009 Nach einem Nestwechsel innerhalb von Harvesse fliegen diesmal zwei Junge aus.

2010 - 2012 046 P wird nirgendwo gesichtet.

2013 Brutvogel in 38543 Hillerse mit unberingtem Männchen. Am 11. Juli werden die beiden Jungen beringt. Ende August fliegen sie ab.

Helgoland 046 P ist somit in ihren bisher 21 Lebensjahren Mutter von zwanzig flüggen Jungen geworden. Zwei flogen in Hillerse aus, je drei in Watenbüttel und Harvesse, je sechs in Klein Schwülper und Wendeburg. Registriert ist sie bei der Vogelwarte Helgoland nun unter DEW P 046.

Für mich hat sich nach der Bergung damals 1992 in Bröckel und dem nun erstmaligen Wiedersehen 2013 in Hillerse ein Kreis geschlossen.


Hans Jürgen Behrmann
Weißstorchbetreuer für die Kreise Celle und Gifhorn
Lachendorf, den 20. November 2013
Hans-Jürgen Behrmann
Weißstorchbetreuer für die Landkreise Celle (bis 2019) und Gifhorn



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Weißstorchbetreuer für die Landkreise Celle ( bis 2019) und Gifhorn



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